NATHALIE GRENZHAEUSER


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Konstruktion der stillen Welt
Nathalie Grenzhaeuser und Séverine Hubard in der Galerie Beckers

Das Hotel, das diesem Berg einmal den Namen gab, steht hier schon längst nicht mehr. Wer sollte denn auch in den wilden Fjorden, am Fuße der "Hotelneset", der Hotelnase also, überhaupt noch übernachten? Kein Mensch, sollte man meinen, verirrt sich freiwillig hierher bis nach Spitzbergen, jener Inselgruppe im Nordpolarmeer, die Nathalie Grenzhaeuser ins Zentrum ihrer neuen Serie gestellt hat. Und so fotografiert, als sei sie gerade eben erst entstanden, emporgestiegen aus den Fluten wie am ersten Schöpfungstag, oder im Gegenteil gerade jetzt bereit, für immer zu versinken.
Wal- und Robbenfänger, Fischer und Trapper waren über Jahrhunderte die einzigen, die sich in die arktische Wüstenei verirrten. Dann kam der Kohlebergbau, auch ein paar verwegene Abenteurer dann und wann, die Spitzbergen zur Basis ihrer Polarexpeditionen erhoben - und regelmäßig scheiterten. Und womöglich, so will es angesichts von Grenzhaeusers bisherigem Werk erscheinen, ist es gerade dieses Scheitern, das gebrochene Verhältnis des Menschen zur Natur, das am Anfang dieser Bilderfindung stand. "Treibgut" mag man insofern als Schlüsselbild der aktuellen Ausstellung in der Frankfurter Galerie Beckers (Frankenallee 74) betrachten, markiert es doch den Übergang von der deutlicher noch romantisch konnotierten und virtuos mit Verweisen auf Caspar David Friedrichs "Gescheiterte Hoffnung" spielender "Insel"-Folge zur neuen, "Die Konstruktion der stillen Welt" betitelten Fotoserie.
Und diesen Titel darf man getrost wörtlich nehmen. Denn die 1969 in Stuttgart geborene Künstlerin, die ihr Studium an der Städelschule als Meisterschülerin von Hermann Nitsch abgeschlossen hat, fotografiert weniger die Welt, wie sie sich darstellt. Vielmehr verwendet sie die Mittelformatkamera, mit der sie mittlerweile ihre Aufnahmen macht, ähnlich einem Maler auf der Suche nach Motiven gleichsam als Skizzenbuch, nach dem sie sich die Welt erst schafft. Allein, je näher sie dem Ort zu kommen trachte, so Grenzhaeuser, "je mehr ich dort fotografiere, desto mehr verschwindet er." Eingedenk der akribischen und für die Arbeit konstitutiven Recherche des Kontexts ein Paradox von beinahe Heisenbergscher Dimension: Verschwimmen doch die Konturen dessen, was der Blick der analogen Kamera so unbestechlich zu fixieren vorgibt.
Was sich schließlich in den am Computer bearbeiteten Fotografien zeigt, ist denn auch ein anderes, durch und durch konstruiertes Bild der Wirklichkeit, das auf die Apokalypse ebenso verweisen mag wie auf phantastische Science-Fiction-Welten. Noch freilich scheint die Zeit stillzustehen auf diesen Bildern. Wie eine Epiphanie leuchten die Container am Verladeplatz "Kap Amsterdam" in der Mittsommernacht, während am "Zuckerhut" Förderanlagen, in den Hang getriebene Stollen und nach und nach der ganze Berg unter malerischem Wolkenwirbel in Schieflage zu geraten scheinen und langsam, aber unaufhaltsam talwärts gleiten.
Die Französin Séverine Hubard, deren vor Ort entstandene Installation Anita Beckers im Dialog mit den Arbeiten Grenzhaeusers vorstellt, betreibt mit ihren wuchernden Stadtlandschaften die plastische Formwerdung vergleichbar konstruktiver Bilder. Und in der Tat sind die aus Resopalplatten gebauten modulartigen und auf geometrischen Körpern basierenden Formen unmittelbar auf die "Konstruktion der stillen Welt" bezogen. Im Kern freilich sind sie, indem sie auf eine gänzlich konstruierte Wirklichkeit verweisen, weitgehend abstrakt.
Wenn Hubard indes in ihrem zunächst vor allem komisch anmutenden Video "Un jour", "Eines Tages" also, ein ganzes Haus dabei beobachtet, wie es sich - offenbar gelangweilt von seinem Alltag in der Neubausiedlung - mir nichts, dir nichts aus seinen Fundamenten löst und sich einfach so davonmacht über Wiesen, Wege, Felder - dann sieht man ihre skulpturale Arbeit noch einmal in einem anderen Licht, aus anderer Perspektive: Als urbanen Albtraum, aus dem sich die Welt, das Leben und die Wirklichkeit heimlich, still und leise verabschieden. Was bleibt ist Stille, Abraum und Ruinen. Die "Konstruktion der stillen Welt", wie sie Nathalie Grenzhäuser mit ihrer Fotoserie vorführt, findet in Hubards Installationen nicht nur einen subtilen Kommentar, sondern ein stummes, verstörendes Echo.

Christoph Schütte

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