NATHALIE GRENZHAEUSER


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TRESPASSING

In ihrem Buch Trespassing führt Nathalie Grenzhaeuser den Betrachter an zwei Landschaftsräume heran, die einander diametral entgegenstehen: Das arktische Spitzbergen am nördlichen Ende Europas und die "downunder" gelegenen wüstenhaften Landstriche Südwest Australiens. Beide Male richtet sich ihr Augenmerk auf jene Veränderungen des Landschaftsraums, die den Eingriffen des Menschen zu verdanken sind, wobei sie sich auf die abgeschlossenen Areale des Minenbergbaus, wissenschaftlicher Forschungsstationen und der Naturreservate konzentriert. Ihre Recherche knüpft dabei jeweils an historische Hintergründe zur Besiedlung und Nutzbarmachung der jeweiligen Gegenden an.
Ein Großteil der Fotografien entstand an Orten, die dem normalen Touristen nicht zugänglich sind und deren Betreten, wenn überhaupt erlaubt, strengen Auflagen unterliegt. Der Titel Trespassing verweist in Umkehrung seiner sonst üblichen Formel "No Trespassing" ("Betreten verboten") auf ein komplexes Feld an Bedeutungen, deren Potenzial sich verblüffend erweise gerade durch dieses "Umkehren" erschließt.

(No) Trespassing

Die Verknüpfung mit der Idee von (und dem Recht auf) Grundeigentum, auf der die weltweite Omnipräsenz dieses Verbotsschilds gründet, stempelt den Akt der Nichtbeachtung und des Überschreitens einer territorialen Grenze zum Straftatbestand. Zugleich haftet dem "unerlaubten Betreten" ein Amalgam aus Gefahr und Versprechen an, das eine Verlockung an sich bildet. So tritt mit dem Überschreiten der Verbotsgrenze eine Verwandlung des dahinter liegenden Raums ein. Der Ort gerinnt zu einem Pfad, entlang dessen sich der Eindringling klopfenden Herzens bewegt - sei es aufgrund der dem Terrain innewohnenden Risiken oder drohender rechtlicher Konsequenzen.

In Bezug auf den Umgang des Menschen mit dem ihn umgebenden Landschaftsraum rekurrieren die Bilder zum Teil auch auf (kolonial-)historische Ereignisse, die dem "Trespassing" europäischer Kultur hinein in unbekanntes, bewohntes wie unbewohntes Gebiet zu verdanken sind.

Architektur und Landschaft bilden ein stets wiederkehrendes Motiv in Grenzhaeusers fotografischen Exkursionen zur Geschichte und Gegenwart geografischer Räume. Die Dimensionen und das Verhältnis zwischen (maschinellen) Architekturen, umgebender Landschaft und Himmelsraum werden im Prozess ihrer Bildfindung bewusst modifiziert. Seitens der Dokumentarfotografie, die sich ähnlicher, topografisch verankerter Themen annimmt, könnte man auch hier die Frage nach einer unerlaubten Grenzüberschreitung stellen.

Doch sowenig die Geschichte der Fotografie ohne ihr Paralleluniversum der Retusche denkbar wäre, so sehr ist die Geschichte der "Landschaft" untrennbar mit ihrer Erfindung als ästhetisches und ökonomisches Konstrukt verbunden.
Grenzhaeusers Trespassing führt den Betrachter in einen multidimensionalen Raum von Bedeutungen und Deutungsmöglichkeiten. Visuell, virtuell, metaphorisch oder historisch gesehen: Für das Betreten und Durchqueren dieser fotografischen Ansichten gibt es keinen vorgezeichneten Pfad. Und welches Ziel steht in Aussicht bei diesen Eskapaden ins "Unheimliche", wenn nicht einmal sicher scheint, dass auf die Verlockung eine Belohnung folgt?

Ungleiche Zwillinge

Lässt man die naturräumliche Verschiedenheit Australiens und Spitzbergens beiseite, birgt Trespassing die erstaunliche Entdeckung, dass diese zwei so antipodisch gelegenen Orte Eigenschaften teilen, die sie zu ungleichen Zwillingen machen.

Die geografische Unzugänglichkeit der Polarregionen und des australischen Binnenlands, ihre extremen klimatischen Verhältnisse und die ihnen innewohnenden Risiken für den Menschen lassen diese Gegenden bis heute in einem Licht des Geheimnisvollen, wenn nicht Mystischen erscheinen. Die Gründe dafür liegen in ihrer Verknüpfung mit utopischen wie dystopischen Szenarien und, diesen zeitlich vorausgehend, in ihren "medialen" Qualitäten als "Bildschirm": zunächst als weiße Flecken auf der Landkarte, später als scheinbar dysfunktionale, leere Landschaft.

Schon immer war die Leere, wie sie sich in wüsten und öden Gegenden dem Wanderer offenbart, Projektionsfläche für Erlebniswelten, in denen die Grenzen zwischen Innen und Außen, Subjekt und Umgebung einer allmählichen imaginären Auflösung unterliegen. Insofern ist es nicht überraschend, dass die (Ant-)Arktis wie auch das Innere Australiens häufig als Schauplatz des Science-Fiction- und Horrorgenres inszeniert werden, als deren bekanntestes Beispiel die post-nukleare Mad-Max-Trilogie des Regisseurs George Miller gelten kann. 1 Zugleich mag es als interessante Parallele dieser so antipodisch gelegenen Orte durchgehen, dass sich, entgegen den Qualitäten einer lebensfeindlichen Umwelt, bei beiden Regionen die Vision eines "paradiesischen" Landes bis ins 20. Jahrhundert erhalten hat - sei es in Form von Mythen über das Reich der Hyperboräer "hinter den Nordwinden" 2 oder als enthusiastische Suche nach dem Binnenmeer im Inneren der australischen Wüste. 3

Überstrahlung in Weiß

Der zur Arktis zählende Inselarchipel um Spitzbergen war zu Beginn der polaren Geschichtsschreibung unbesiedeltes Terrain. Weder traf man auf Ureinwohner noch wiesen Spuren auf eine vorgeschichtliche Besiedlung hin - der Archipel galt als No-Mans-Land, bis er 1920 unter norwegische Verwaltung gestellt wurde.

Vormals ein lediglich für die Pelztierjagd und den Walfang genutztes Gebiet und Ausgangspunkt für zahlreiche Nordpolexpeditionen, führte die Entdeckung reicher Kohlevorkommen um 1900 zur Gründung der ersten Minen. Ab Mitte des Jahrhunderts kamen Standorte für Forschungsstationen und Raketenstartplätze (SvalRak) hinzu sowie die Einrichtung des Flughafens im Jahr 1975. Bis heute ist Spitzbergen nur dünn besiedelt, sämtliche vor 1945 errichteten Gebäude stehen unter Denkmalschutz, und der Zugang zu den ausgewiesenen Naturschutzgebieten ist streng reglementiert. Mit zunehmendem Rückgang des Bergbaus beschränkt sich die ökonomische Einmischung des Menschen auf die arktische Forschung und die Etablierung eines "sanften" Tourismus. Die geradezu höfliche Distanz des Menschen zum Landschaftsraum Spitzbergens findet bei Grenzhaeuser ihren Ausdruck in Bildern, die die Natur und ihre Erscheinungen als Hauptschauplatz inszenieren.

So zeigen die Fotografien dieser arktischen Region eine Welt, die trotz aller anthropogenen Eingriffe immer noch seltsam autark erscheint und deren Unbehaustheit einer Bedrohlichkeit Raum gibt, die den Menschen als Eindringling in seine Schranken verweist. Den in der Landschaft hingekauerten Blockhütten der Pioniere, den überstrahlten Containern des Umschlaghafens von Kapp Amsterdam und den futuristischen Architekturen der Forschungsstationen gemeinsam ist ihre Eigenschaft als quasi geschlossenes "Behältnis", in dem etwas für die Zukunft oder aus der Vergangenheit aufbewahrt wird.

Dieses Zeitkapselartige wird verstärkt durch ein Licht oder eine Atmosphäre, die alles Menschliche zu verdunkeln oder verloren zu geben scheint. Bei dem Versuch, dieses unheimliche oder bedrohliche Element auszumachen, streift der Blick des Betrachters durch Wolkenwirbel, über verschattete Horizonte. Es gibt keinen Zugang, keine Wege, keinen Halt und keine Farben, die das Bild vom Verdacht der Unwirklichkeit befreien würden.

Unheimliches Australien - Uncanny Australia

Robert Hughes bezeichnet in seiner Monografie Die Besiedlung des fünften Kontinents Australien als das "geografische Unbewusste" 4 und verweist auf dessen Rolle als Antipode zur Ordnung der europäischen Welt. 5 Ähnlich dem Unbewussten Freuds wurde Australien in der Vorstellung des British Empire als eine Welt codiert, die ebenso unüberseh- wie unberechenbar und ungezähmt war. 6 Unbewusst und unbewohnbar, unvorstellbar weit entfernt: Zwei Jahrhunderte später hat sich die britische Kultur in Australien etabliert und dies auf eine Weise, die das "Unheimliche" die Seiten wechseln ließ, wie es angesichts der Fotografien Nathalie Grenzhaeusers scheint. Dieses "Unheimliche", mag man es nun als Spukwort der späteren Romantik begreifen oder als wortwörtliche Wendung, tritt in den Landschaftsräumen Australiens anders als auf Spitzbergen zutage.

Großbritanniens Geistesblitz, sich der störenden Elemente seiner Gesellschaft zu entledigen und den "Abschaum" an das südliche Ende der bekannten Welt zu verschiffen, rückt im Zusammenhang mit dem Begriff "Trespassing" eine geradezu absurde Koinzidenz ins Licht.

Mit der Gründung der Strafkolonie in New South Wales wurde Australien das Ankunftsziel jener, die gegen Gesetze des Eigentums verstoßen hatten. Man verfrachtete sie damit auf ein Terrain, das im gleichen Atemzuge jenen weggenommen wurde, die sich traditionell eben diesen Ideen von Grundbesitz, Eigentum und "Eigenem" verweigerten - den Aborigines. Die Dysfunktionalität des Kontinents in klimatischen wie kulturellen Parametern schuf auf Seiten der Kolonisten eine Einstellung zum Landschaftsraum, die einer von Gewalt begleiteten Übersetzung von "Land" zu "Landschaft" hin den Weg bereitete. 7 Sowohl die Landnahme als auch die Erschließung der Ressourcen beruhten auf dem Versuch, ein dystopisches, "unbrauchbares" Land in eine funktionalisierte und neu ästhetisierte Landschaft zu überführen.

Grenzhaeusers "Trespassing" in die Minengebiete des Olympic Dam und Newman hinein zeigt das australische Element des Unheimlichen v. a. den Architekturen, den Maschinen sowie deren Relikten und Spuren eingeschrieben. Tatsächlich ist in diesen Bildern nur wenig verändert worden, da die Dimensionen der Landschaft und der industriellen Architektur bereits jedes "Normalmaß" übersteigen.

Die Ansichten der australischen Industrieminen bringen vorwiegend "Apparaturen" zum Vorschein: Gigantische Kräne, Förderbänder, labyrinthisch verschlungene Rohre und Leitungen, Räder und Spuren. Die Landschaft ist gezeichnet von Gräben, Gräbern, Löchern und Kratern, die an heftige Explosionen denken lassen. Der Blick verliert sich entlang nicht enden wollender Stahlträger und scheut vor der schieren Größe der Maschinerien zurück. Die Natur zeigt sich entweder undurchdringlich und verschwommen oder bis auf die Knochen bloßgelegt. Wurde von den alten Geschichtsschreibern und Geografen noch angenommen, dass der Maelstrom am Nordpol entweder seine Entsprechung im Springbrunnen von Eden oder aber in einem alles ausspuckenden Wirbel auf der antipodischen Südhalbkugel finden müsse 8, so lassen die Überreste der Schlange auf dem australischen Highway mit dem Baum im Hintergrund nur noch auf ein Paradies der Desillusion spekulieren.Pfadfinder

Wenn aber jeglicher Blick auf eine sogenannte "Landschaft" deren Voraus- "Setzung" - einen vom Menschen gestaltbaren und begreifbaren Raum - beinhaltet, wie es seit den ersten Ausführungen Ruskins über den "pathetischen Betrug" 9 heißt und bis heute von zeitgenössischen Landschaftsanalysten in Kunst- und Literaturwissenschaft debattiert wird 10 - wie ließe sich dem entkommen? Wie ließe sich ein Blick auf etwas hinführen, das die "radikale Illusion"11 zeigt, ohne sie sichtbar zu machen?

Der verborgene Pfad führt trotz Grenzhaeusers gelegentlichem Verweilen bei den pittoresken "scapes" des Science-Fiction oder der romantischen Malerei haarscharf an diesen vorbei auf eine Ebene der "Desillusion", die sich jeder Versöhnlichkeit der Natur oder dem Menschen gegenüber verweigert. Doch Grenzhaeusers Blick richtet sich weniger auf das Dokumentierbare, Reale, sondern auf das sich gegen seine "Heimlichkeit" und seine Vereinnahmung Sträubende. Es ist das Element des Fehlenden, des Ungreifbaren und des Befremdenden, das, irgendwo hinter dem Horizont implodiert, sich als "atmosphärischer Niederschlag" in den Bildwelten zeigt. Entsprechend der jeweiligen Geschichte des "Trespassing" europäischer Kultur in die abgelegenen Landstriche Norwegens und Australiens hinein sprechen Grenzhaeusers Fotografien auf unterschiedliche Weise von den Interventionen des Menschen.

Der "Fallout" dieser Implosion hinter dem Horizont oszilliert als ungreifbares, fantastisch anmutendes Element in allen Bildern, dennoch scheint es mal mehr in der Natur, mal mehr im Werk des Menschen aufzublitzen.

Die Einbettung des Ungreifbaren und Unheimlichen als einer nicht zu ortenden Ingredienz des Landschaftsraums mag einen Ausweg aus dem "pathetischen Betrug" Ruskins 12 andeuten. Diesseits aller Betrachtungen kann Grenzhaeusers Arbeit Trespassing aber auch als eine Aufforderung an den Betrachter verstanden werden, die ästhetischen, vorgezeichneten Rezeptionswege des Kunstsystems zu verlassen, fremden Boden zu betreten und sich einen eigenen Pfad - klopfenden Herzens - in ihre Bildwelten zu erschließen.

Gabi Schaffner

Veröffentlicht in Trespassing, Verlag für Moderne Kunst, 2011.

 

1 Mary Shelleys Frankenstein beginnt mit einer Nordpolexpedition; H.P. Lovecrafts Berge des Wahnsinns erschließt dem Leser ein Universum subterranen Horrors in den Eiswüsten der Antarktis. Zuvor war bereits E. A. Poe´s Arthur Gorden Pym auf der Suche nach einem arkadischen Landstrich in die gleichen Regionen vorgestoßen. 1982 situierte John Carpenter mit The Thing die Landung eines außeririschen Raumschiffs in der Antarktis, mit fatalen Folgen selbverständlich.
2 Wobei sich die Annahme eines "gemäßigt-warmen" Landstrichs jenseits der Packeisgrenze bis in die 1930er Jahre hielt.
3 Siehe auch : Paul Carter, PSITTACORUM REGIO, Papageien des Paradieses in der mythischen Topografie Australiens,
In : http://www.lettre.de/archiv/61carter.html (Stand 17. Dez. 2010)
4 ROBERT HUGHES: The Fatla Shore : A History of the Transportation of Convicts to Australia 1787-1868 (London:Collins Harvil, 1987).p.43.
5 Der Name dieses dunklen Kontinents zum Zeitpunkt seiner ,Entdeckung' war terra australis incognita, der Name eines Landes-ohne-Namen. Dabei mag in dieser paradoxen Bezeichnung eine Vorahnung desselben Unnennbaren gelegen haben, das Freud entdeckte - zeitlich parallel zur Entstehung von ,Australien' als eigenständigem nationalem Teilstaat." (Übersetzung Gabi Schaffner) Aus: Louis Armand, Romantic Ecologies. In: www.rhizomes.net/issue2/armand/armand1.html (Stand 17. Dez. 2010).
6 Die Landschaft dieses erdachten Kontinents war möglicherweise die der Hölle. In seiner unerforschlichen Andersartigkeit ließ sich jede Phantasterei unterbringen; sie stellte das geografische Unbewusste dar." In: Robert Hughes, Australien. Die Besiedelung des fünften Kontinents. Droemer Knaur, Ulm 1992, S. 70.
7 Vgl. : Louis Armand: "Romantic Ecologies", section 1. In http://www.rhizomes.net/issue2/armand/armand1.html
8 Vgl. Chet Van Duzer: The Mythics Geography of the Northern Polar Regions: Inventio fortunata and Buddhist Cosmology in : http://www.culturaspopulares.org/textos2/articulos/duzer.pdf (Stand17. Dez. 2010)
9 John Ruskin, Of the Pathetic Fallacy in: Modern Painters, vol. iii, pt 4.1856 http://www.ourcivilisation.com/smartboard/shop/ruskinj/ (Stand 28.Februar 2011)
10 Vgl. M SCHMELING, M Schmitz-Emans (Hg.) Das Paradigma der Landschaft in Moderne und Postmoderne - (Post) Modernist Terrains: Landscapes, Settings. Spaces. Köningshausen & Neumann, Würzburg 2007
11 Vgl. Jean Baudrillard: die "radikale Illusion" , in: das perfekte Verbrechen. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 1996
12 Vgl. Ludwig Seyfarth, Nina Koidl: Pathetischer Betrug - Pathetic Fallacy. Salon Verlag, Köln 2005. S 7
 
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